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„Wo sollen Kinder Demokratie lernen, wenn nicht bei uns?“

Beteiligung in Kitas steht beim „Tag des Erziehers“ im Fokus

Das Kind kommt mal wieder schmutzig aus der Kita. Weil es gespielt, seine Umwelt erforscht, etwas erlebt und vermutlich einfach Spaß hatte. Es hat keinen einzigen Gedanken daran verschwendet, dass die Hose nach dem Sprung in die Pfütze nicht mehr sauber sein würde, oder die Tusche nicht auf den Pulloverärmel gehört. Das finden nicht alle Eltern gut, schließlich sind die hübschen Schuhe nicht zum Spielen im Sandkasten gedacht und den Fleck bekommen sie aus dem weißen Shirt auch nicht mehr heraus. Die Lösung für das Dilemma? Man könnte einfach festlegen:, Kita-Kleidung ist Arbeitskleidung. Und an einem „harten“ Tag ist sie etwas dreckiger. Eltern sollten das bei der Auswahl bedenken.

Das Beispiel klingt logisch - im Alltag ist es das aber nicht. Denn meistens haben die Kinder wenig mitzureden, wenn es um ihre Arbeitskleidung geht und auch nicht, wie die diese nach einem anstrengenden Kita-Tag aussehen darf. Beim „Tag des Erziehers“, ausgerichtet von der AWO Kinder- und Jugendhilfe GmbH im K6 Seminarhotel in Halberstadt, war genau das ein Kernthema. Denn mal ernsthaft, können Kinder das überhaupt? Können sie selbst entscheiden, welche Kleidung sie an einem vielleicht kalten und nassen Herbsttag tragen wollen?

„Kinder können ihre Rechte nicht alleine durchsetzen“, erklärte Moderatorin Karin Bischoff-Schiefelbein zu Beginn der Veranstaltung den gut 100 Gästen. Sie brauchen Erwachsene, die diese Rechte für sie einfordern. Das heißt aber nicht, dass Eltern alles für sie entscheiden müssen. „Kinder wissen, was sie brauchen, sie sind kompetent“, sagt Kristine Röbbeling, Einrichtungsleiterin der AWO Kita „An der Ilse“ in Osterwieck. Und wenn sie daneben liegen, dürften sie diese Erfahrung ruhig machen.

Dabei ließe sich oft beobachten, dass die Eltern, die es aus selbst gelernter Erfahrung als Erwachsene besser wissen, ihre Kinder vor dieser Erfahrung schützen wollen. Aber warum eigentlich?

Der AWO Kreisverband Harz e.V. mit seinen Tochtergesellschaften AWO Kinder- und Jugendhilfe GmbH und AWO Pflege und Wohnen GmbH hat sich für 2022 und 2023 die Themen Teilhabe, Partizipation und Demokratie auf die Fahne geschrieben und arbeitet in allen Bereichen daran Prozesse zu überarbeiten und die inhaltliche Ausrichtung so zu entwickeln, dass alle Menschen beteiligt werden.

Der Blick über den altbekannten Tellerrand ist dabei aber beinahe die schwierigste Hürde. Denn das bedeutet auch Veränderung. Und damit tun wir Erwachsenen uns bekanntlich gern schwer.

Im Bereich der Kindertagesstätten hat Susanne Bertl, Bereichsleigung Kitas, das Thema Demokratie in den Fokus gerückt und sich in einem Zertifizierungskurs zum Thema weitergebildet. Die Reise endete aber nicht mit einer Urkunde und dem Titel Multiplikator. Susanne Bertl brennt für das Thema Demokratie in Kindertagesstätten und trug es in die Einrichtungen der AWO. In Kristine Röbbeling erhielt sie weitere Unterstützung. Auch sie durchlief die Zertifizierung und ist heute Multiplikatorin. Gemeinsam haben sie Teilhabe und Partizipation in die Kitas getragen und zu greifbaren Themen gemacht. Wie diese nun bereits zwei Jahre andauernde Weg aussieht und welche Ergebnisse es inzwischen gibt, haben sie in der Veranstaltung vorgestellt.
Die zentrale Frage dabei war, wie Kita-Kinder stärker beteiligt werden können an den Entscheidungen, die täglich völlig selbstverständlich über ihren Kopf hinweg getroffen werden.

Der Kita-Alltag wird dabei nicht völlig neu erfunden und Traditionen über Bord geworfen. Im Gegenteil: Nach zwei Jahren Corona-Pause wurde in Osterwieck endlich wieder ein Sommerfest gefeiert. Aber das Fest wurde nicht von den Erzieher*innen organisiert und umgesetzt, sodass die Kinder eigentlich nur Gäste waren. Die Kinder waren dieses Mal selbst die Gastgeber. Sie haben in einem dreimonatigen Beteiligungsprojekt selbst und demokratisch entschieden, was sie zeigen wollten, welches Essen es gibt und welche Spiele sie spielen wollten. Teilhabe und Partizipation lernten sie bei der Vorbereitung, indem sie beispielsweise selbst Essen bestellt haben und auch lernten, dass dies Geld kostet.

Das Interessante bei diesen Prozessen ist, dass eigentlich nur die Erwachsenen mit ihren erlernten Vorurteilen und Verhaltensweisen hadern. „Kinder müssen nicht zwingend vor dem Mittag gewickelt werden, wieso machen wir das eigentlich? Kinder können selbst entscheiden, ob sie erst ihr Dessert essen wollen“, erklärt Susanne Bertl zwei Situationen, die so alteingesessen sind, dass sie der Sinn gar nicht hinterfragt wird.

In zwei ganztägigen Workshops wurden genau diese Herangehensweisen diskutiert und auch, wenn sich einige Kolleg*innen der Thematik skeptisch genähert haben, waren die meisten offen und die Teams haben letztlich eng zusammen gearbeitet, um sich weiterzuentwickeln.  Die Inhalte und Ergebnisse waren - verbunden mit vielen abwechslungsreichen kleinen Denkaufgaben - bei dem „Tag des Erziehers“ zu sehen. Die Vielfalt der Ausstellungsstücke zeigte eindrucksvoll, wie intensiv das Thema bearbeitet wurde.

Dabei haben den Erzieher*innen Beispiele sehr geholfen, die Problematik aufzudecken. Das der Teller leergegessen werden muss, daran können sich viele aus ihrer eigenen Kindheit gut erinnern. Es ist aber eine Erinnerung an Momente, in denen einem Kind etwas aufgezwungen wurde. Der Lernprozess muss also zuerst bei den Erwachsenen stattfinden. „Demokratie bedeutet für mich Gleichheit und Freiheit, die gelernt werden muss. Die Kita ist vielleicht die einzige Stelle, wo sie diese Prozesse lernen und hineinwachsen können. Wo sollen Kinder Demokratie lernen, wenn nicht bei uns?“, so Susanne Bertl. sh


Das Projekt wurde gefördert durch das Deutsche Kinderhilfswerk. Über diese Förderung konnte die Qualifizierung aller pädagogischen Fachkräfte zum Thema Beteiligung von Kindern in Kindertageseinrichtungen gesichert werden.

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