Mer losse d´r Dom in… Halberstadt
Rosenmontag in der Tagesstätte „Horizont“
Der Rosenmontag ist in diesem Jahr ein ganz besonderer Tag, erkennt man doch nicht sofort, welche Gruppierung derzeit auf den Straßen unserer Stadt unterwegs ist. Sind es kostümierte Karnevalisten auf dem Weg zum Rathaus? Sind es wutentbrannte Bauern, die Straßen blockierend auf ihre missliche Lage aufmerksam machen wollen? Sind es Linke, die gegen die Rechten demonstrieren? Menschen, die nach einer Alternative für Deutschland suchen und den demokratischen Staat anzweifeln?
Oder sind es Menschen wie wir, die besorgt auf die politischen Entwicklungen in unserem Land blicken? Der Rosenmontag mit jahrtausendealter Geschichte gab uns in der Tagesstätte Anlass, uns über Bräuche und Traditionen der Faschingszeit auszutauschen.
Bereits vor 5.000 Jahren wurden in Mesopotamien Vorläufer des Karnevals gefeiert. Papst Gregor VII. soll im 11. Jahrhundert, vor Beginn der Fastenzeit, eine goldene Rose geweiht haben, nach der der Rosenmontag benannt sein soll. Karneval nennt man das Fest und die Bräuche, mit denen viele Menschen die Tage vor der vierzigtägigen Fastenzeit feiern. Natürlich wurde auch in unserer Tagesstätte gefeiert. Alle Räume wurden mit Girlanden, Papierschlangen und bunten Ballons geschmückt. Es gab Pfannkuchen, Nudelsalat und Wiener Würstchen. Tradition verpflichtet… und schmeckt. Geselligkeit und Brauchtumspflege wurden von einem Schalmeienorchester aus dem Lautsprecher unseres Rundfunkempfängers begleitet.
Später war es die Gitarre, um die sich einige versammelt hatten. Gemeinsam gegessen, gemeinsam gesungen. Gemeinschaft hilft, sich sicher zu fühlen. Nicht nur in der Faschingszeit. Vor uns liegt, ab Aschermittwoch, eine Zeit des Fastens in Vorbereitung auf das anstehende Osterfest. Der Begriff „Karneval“, vom lateinischen „Carne vale“ abgeleitet, bedeutet in etwa „Fleisch, lebe wohl“. Es beginnt eine Zeit, in der verzichtet werden soll. In unserem Gedankenaustausch über die Karnevalszeit und die darauffolgenden Tage bis zum bedeutendsten Fest der christlichen Welt, stellten wir uns gegenseitig die Frage: Worauf könnten wir vierzig Tage lang verzichten? Antworten zu finden, gestaltete sich sehr schwer, gemeinschaftliches Schweigen stellte sich ein. So wurde eine andere Frage formuliert: Worauf möchten wir auf keinen Fall verzichten? Hier fiel es leichter, Antworten zu finden: Besuch der Tagesstätte, Familie, Freunde, sinnvolle Beschäftigung, Tagesablauf mit Struktur, eine warme Mahlzeit am Tag, Zeit für mich. Der Rosenmontag – für uns nicht nur ein Tag des Feierns, sondern auch ein Tag, den wir nutzten, Gedanken über Gegenwart und Zukunft zu tauschen; Meinungen zu aktuellen und wünschenswerten Entwicklungen in unserem Land, in unserer Stadt, in unserer Tagesstätte. Auch im Hinblick auf die Internationalen Wochen gegen Rassismus vom 11. bis 24. März, an denen wir uns aktiv beteiligen werden. Denn dazu gibt es, im Rückblick auf die unbeantwortete Frage nach dem freiwilligen Verzicht, eine eindeutige Antwort: Wir verzichten auf Menschenverachtung und antidemokratische Entwicklungen. Und das nicht nur für vierzig Tage im Jahr.
Bernd Tangermann, Therapeutischer Mitarbeiter, AWO Tagesstätte „Horizont“