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Herzhaft mit Aussicht auf Fleischbällchen

Ein Tag im Restaurant mit Herz der Tafeln

Es ist 6.59 Uhr, als Gerda wie fast jeden Tag die Tür des Restaurants mit Herz aufschließt. Das Schloss klemmt ein bisschen. Gerda weiß allerdings, dank jahrelanger Erfahrung, wie Sie mit der alten Tür umzugehen hat. Leicht anheben, dabei drücken und schon kann sie in den Gastraum eintreten.

Das Restaurant öffnet um 9 Uhr. Montags bis freitags wird hier mit den an die Tafeln gespendeten Lebensmitteln gekocht. Dabei darf jedermann und jederfrau das Restaurant besuchen und ein Frühstück oder Mittagessen zu sich nehmen. Personen, die von Armut betroffen sind, erhalten die Mahlzeit zu einem vergünstigten Preis. Ebenso wird das Essen an Kinder gegen einen kleineren Obolus in Höhe von einem Euro ausgegeben.

Gerdas erste Tagesaufgabe besteht darin, sich für die Arbeit umzuziehen. Kochjacke beziehungsweise Schürze und das richtige Schuhwerk sind ein Muss für alle Mitarbeiter*innen im Restaurant. Auch die Haare werden zusammengebunden und der Schmuck abgelegt. Bei dem Ehering fällt es ihr nicht leicht. Vor knapp zwei Jahren musste sie schweren Herzens ihren Mann Horst gehen lassen. Der Ring erinnert sie an die zahlreichen, schönen Ehejahre. Den Ring abzulegen ist allerdings aus Hygienegründen notwendig, um Keimbildung und auch Verletzungen in der Küchenarbeit zu vermeiden. Gerda verschließt ihre Habseligkeiten in den dafür vorgesehenen Schränken und begrüßt gleichzeitig ihre eintreffenden Kolleg*innen.

Gemeinsam beginnen sie in der Küche damit, Kaffee zu. Während Gerda das Kaffeepulver in die Maschine füllt, tauscht sie sich mit ihrer Kollegin über das letzte Abendprogramm aus. Im Anschluss beginnen die Vorbereitungen für das Frühstücksangebot. Es werden Brötchen geschmiert, Getränke bereitgestellt und die Tische mit Tischdecken und Servietten eingedeckt.

Als die ersten Gäste eintreffen, schneidet Gerda bereits Gemüse für das Mittagessen klein. Die Bedienung der Kundschaft übernimmt heute ihre Kollegin. Jede Woche werden die Aufgaben im Küchenteam neu verteilt. So ist jede*r mal Koch beziehungsweise Köchin, Bedienung oder Beiköch*in.

Heute gibt es Nudeln mit Gemüsesauce. Ab 10 Uhr fangen die entsprechenden Vorbereitungen dafür an. Alle arbeiten konzentriert, denn auch heute werden wieder circa 50 Gäste erwartet. Gemüse muss geschält, geschnitten, angebraten und zu einer Sauce vermischt werden. Nudeln kochen geht meistens sehr schnell. Ob Fleisch heute zu einem Bestandteil der Mahlzeit wird, hängt von der Lieferung der Tafel-Fahrer*innen ab. Eigentlich war heute ein vegetarisches Gericht geplant. Vor ein paar Minuten hat allerdings Fahrer Jan angerufen und berichtet, dass einer der Lebensmittelmärkte zahlreiche Großpackungen Hackfleisch mitgegeben hat. Da dieses Produkt ein Verbrauchsdatum hat, das heute endet, muss es umgehend verarbeitet werden. „Oh, also haben wir Aussicht auf Fleischbällchen?“, antwortet Gerda ihm.

Spontane Speiseplanänderungen gehören zur Tagesordnung. Da zum Großteil das gekocht wird, was die Tafel an Lebensmitteln einsammelt, müssen die Mitarbeiter*innen flexibel in ihrer Planung sein. Bringt ein Fahrerteam spontan Fleisch von seiner Tour mit, so gehört es zur Aufgabe der Küchenmitarbeiter*innen, die Produkte umgehend zu verarbeiten und für die nächste Mahlzeit vorzubereiten.

Heute verläuft, ausgenommen der Fleischbällchen-Überraschung, alles wie geplant. Das Restaurant ist wie erwartet voll. Die Gäste werden bedient und die meisten möchten sogar noch einen Nachschlag. Ein kleiner Schnack mit den Besucher*innen gehört auch dazu und wird vor allem von den Senior*innen sehr geschätzt, die täglich das Angebot des Restaurants nutzen. Gerda kennt die meisten ihrer Gäste und findet die richtigen Worte. Außerdem kann sie durch ihre lange Erfahrung gut einschätzen, wie viele das Angebot annehmen und hat deshalb heute die richtige Menge gekocht.

Am Nachmittag räumen Gerda und die übrigen Mitarbeiter*innen ihren Arbeitsplatz auf und erledigen den Abwasch. Währenddessen sitzen die meisten der Stammgäste noch im Restaurant bei einem Stück Kuchen, trinken Kaffee oder spielen Gesellschaftsspiele. Gerda wischt gerade noch den Boden der Küche, als auch der letzte Gast das Restaurant verlässt.

Sie muss nur noch die Kasse abrechnen, dann kann auch sie in den wohlverdienten Feierabend gehen. Am nächsten Tag wird wieder gekocht. Mit Aussicht auf Schnitzel …

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